Prolog
Der folgende Text befasst sich mit dem Phänomen des Detektivromans und seiner Dekonstruktion im Allgemeinen und mit dem Roman „City of Glass“ von Paul Auster im Spezifischen. Aber keine Sorge, zu gegebener Zeit werden genügend Informationen geliefert um den Text auch ohne Kenntnis des Romans zu verstehen. Wer aber Lust hat an der Seite eines der ungewöhnlichsten Detektive der Literatur-geschichte sich auf eine verrückte Reise durch New York zu begeben, sollte vorher das Buch lesen. Es ist nicht sehr lang, in Englisch sogar kostengünstig als Reclam zu erhalten, ansonsten bekommt man es aber sicher auch gebraucht auf den einschlägigen Seiten. Ich verspreche euch: es ist ein literarischer Trip der seinesgleichen sucht!
Tauchen wir also gemeinsam ein in die Welt des Detektivromans und versuchen den Fall um die mysteriöse „City of Glass“ zu lösen. Ob wir dabei Erfolg haben werden steht in den Sternen, aber der erste Schritt muss getan werden oder wie einer der großen Meister des Genres sagen würde: „The game is afoot.”
I.
Nehmen wir die Spur auf, in dem wir das große Ganze betrachten. In diesem Fall also das Genre um das sich alles dreht. Es ist seit weit mehr als einem Jahrhundert das Genre, dass wir am liebsten für ein paar entspannende und anregende Lesestunden zur Hand nehmen: Der Detektivroman. Jede/r von uns hat schon mal einen Roman gelesen, einen Film gesehen, der ihm angehört. Intelligente Detektive und Detektivinnen wie Sherlock Holmes, Miss Marple oder Hercules Poirot begeistern die Welt schon lange, viele von uns sind mit den legendären Hörspielen der Drei ??? aufgewachsen. Der Detektivroman ist eines der beliebtesten Genres in der Literatur und unterliegt strengen Regeln, auf die wir im Folgenden einen genaueren Blick werfen wollen.
„Der Detektivroman bzw. die Detektiverzählung sind inhaltlich dadurch gekennzeichnet, dass sie die näheren Umstände eines Geschehenen Verbrechens (fast ausschließlich eines Mordes) fast ausschließlich im Dunklen lassen und die vorrangig intellektuellen Bemühungen eines Detektivs darstellen, dieses Dunkel zu erhellen“ (Nusser 1992, S.3)
Dieses Zitat aus Peter Nussers Untersuchung zum Kriminalroman fasst in aller Kürze den Kern einer Detektivgeschichte zusammen. Im Zentrum steht immer der Detektiv, der versucht Ordnung in ein in Unordnung gebrachtes Gefüge zu bringen. Die Genreregeln des klassischen Detektivromans sind sehr deutlich festgelegt. Autoren wie Edgar Allen Poe (The Murders in the Rue Morgue 1841), Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes 1886-1927) und Agatha Christie (z.B. Die Romane mit Hercule Poirot 1920-1975) haben diese Gattung geprägt und bis zur Vollendung geführt.
Anne Holzapfel beschreibt den Detektivroman als geteilt in zwei Geschichten. Die erste Geschichte ist die des Verbrechens/ bzw. die des Verbrechers. Sie findet vor Beginn des Romanes statt und hinterlässt Hinweise und Spuren. „In the second story these signs are given meaning by the detective, i.e. reader” (Holzapfel 1996, S.44). Dies weist schon darauf hin, dass die Einbindung des Lesers in die Suche nach der Lösung des Falls, ein wichtiges Anliegen des Detektivromans ist.
“You know my methods, Watson. There was not one of them which I did not apply to the inquiry. And it ended by my discovering traces, but very different ones from those which I had expected.” (Arthur Conan Doyle, The crooked Man)
Der Detektiv/ die Detektivin im klassischen Detektivroman ist meist eine exzentrische Person, die mit Hilfe eines Begleiters oder einer Begleiterin (einer Watson-Figur), einen Kriminalfall in einer geschlossenen Gruppe, in die er/sie und die Begleitfigur von außen hineinkommen, löst. Die Ermittlung besteht aus der empirischen Erfassung von Beweisen und dem Verhör der Verdächtigen. Dabei tauchen immer wieder falsche Alibis und Red Herings (Spuren, die ins nichts führen) auf. Am Ende des Romans versammelt der Detektiv die Verdächtigen und verkündet die Lösung des Falles, die er durch seine beachtlichen intellektuellen Fähigkeiten erreicht hat. Durch die Aufklärung des Falles ordnet er die, durch das Verbrechen in Unordnung gebrachten, Zustände. Der Detektiv ist nicht emotional involviert und kehrt nach der Lösung in sein gewohntes Leben zurück.
“My mind,” he said, “rebels at stagnation. Give me problems, give me work, give me the most abstruse cryptogram or the most intricate analysis, and I am in my own proper atmosphere. I can dispense then with artificial stimulants. But I abhor the dull routine of existence. I crave for mental exaltation. That is why I have chosen my own particular profession, or rather created it, for I am the only one in the world.” (Doyle, The Sign of the Four)
Anne Holzapfel weist in ihrer Abhandlung zu „City of Glass“ darauf hin, dass der Anreiz, den der Detektivroman für den Leser birgt, darin liegt, dass er sich mit dem Intellekt des Detektivs misst und versucht den Fall ebenso schnell, wenn nicht sogar vor ihm zu lösen (s. Holzapfel 1996, S.12). Insofern ist der Detektivroman ein intellektuelles Spiel. Der Detektiv misst sich mit dem Mörder, in dem er die Hinweise liest, die der Mörder hinterlassen hat. Der Leser wiederrum misst seinen Intellekt mit dem des Detektivs, indem er versucht die Hinweise schneller oder besser zu lesen.
“Crime is common. Logic is rare. Therefore it is upon the logic rather than upon the crime that you should dwell.” (Doyle, The Copper Breeches)
Die Watson-Figur nimmt dabei die Rolle eines Mediums zwischen Detektiv und Leser ein. Durch seine Nachfragen ist der Detektiv gezwungen seine Gedanken auszusprechen und sie so für den Leser nachvollziehbar zu machen. Gleichzeitig schränkt diese Sicht den Leser aber auch ein, da es immer sein kann, dass die Watson Figur Hinweise übersieht oder falsch interpretiert (s.Nusser1992). Im besten Fall werden ihm verschiedene Spuren neutral präsentiert, doch „welche die Richtige ist, unterliegt der Einschätzung des Lesers und damit dem Irrtum“ (Nusser 1992, S.29f).
“I am afraid, my dear Watson, that most of your conclusions were erroneous. When I said that you stimulated me I meant, to be frank, that in noting your fallacies I was occasionally guided towards the truth.” (Doyle, The Hound of Baskervilles)
Aus dem Genre des Klassischen Detektivromans entstand vor allem im Amerika der 40er Jahre eine neue Form des Detektivromans, die sich durch sehr viel mehr Action, zwielichtigere Gestalten und schlagkräftigeren Detektiven auszeichnete. Einer der Pioniere dieser Hard-Boiled Novels war Raymond Chandler und seine Romane um die Figur des Privatdetektives Philip Marlowe.
Die Hard-Boiled Novel ist eine Sonderform des Detektivromans, die sich vor allem im Amerika in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ausbildete. „The hard-boiled novel’s plot is set in large American cities, whose atmosphere offers space for corruption and crime” (Holzapfel 1996, S.19). Die Umgebung des Detektivs ist also keine mehr, in der das Verbrechen ein Einzelfall ist. Anstatt durch die Lösung des Falls die gesellschaftliche Ordnung wieder ins Lot zu rücken, ist es dem Detektiv daher nur möglich, einen kleinen Teil der Welt wieder in Ordnung zu bringen. Im Gegensatz zum klassischen Detektivroman ist der Hard-Boiled Detektiv (Privat Eye) nicht in der Lage eine Distanz zum Fall zu wahren. Er bringt sich dadurch selbst in Gefahr und kann erst wieder in sein normales Leben zurückkehren, wenn der Fall gelöst wurde. Passend zu der fehlenden Distanz zum Fall, besteht auch keine Distanz zwischen Leser und Detektiv – „the entire hard boiled novel is narrated by the private eye himself“ (Holzapfel 1996, S.20). Diese Strukturveränderungen haben zur Folge, dass die Romane einen größeren Action-Anteil haben, das intellektuelle Wettrennen zwischen Leser und Detektiv jedoch in den Hintergrund rückt.
“I was doing a cheap sneaky job for people I didn't like, but that's what you hire out for, chum. They pay the bills, you dig the dirt.” (Raymond Chandler, Playback)
Und dann brachen die letzten Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts an und mit ihnen Strömungen wie der Poststrukturalismus. Viele Autoren befassten sich nun mit der Dekonstruktion traditioneller Literaturgenres. Der Detektivroman war ein dankbares Ziel, um ihn bis auf sein Grundgerüst auseinanderzunehmen und mit seinen Teilen zu spielen. Gerade aufgrund seiner festen Regeln und vorhersehbarer Strukturen eignet er sich besonders gut für eine Dekonstruktion und damit einhergehend für das Einbauen mehrerer Meta-Ebenen in das so entstandene neue Produkt.
Der Anti-Detektivroman höhlt das Genre des Detektivromans, wie es typisch ist für einen sekundären Stil, aus. Das erreicht er dadurch, dass er mit den Konventionen der Gattung und damit mit den Erwartungen des Lesers spielt. Dies nimmt häufig parodistische Züge an (Holzapfel 1996, S.23). Zufall wird zum bestimmenden Formprinzip, weswegen es dem Detektiv nicht mehr möglich ist, irgendeine Form von Ordnung herzustellen. Die Folge ist zumeist der Untergang des Detektives und die Frustration des Lesers, da er mit seiner durch den Detektivroman geschulten Lesegewohnheit an dem Roman scheitert. Anne Holzapfel warnt jedoch davor, zu übersehen, dass der Aufbau des Anti-Detektiv-Romans keineswegs zufällig ist:
„Since there is no order establishing centre in form of a detective that reaches the solution through logic, chaos and irrationality prevail over their respective opposites. However, above all this seeming chaos lies a well thought out structure. This, in turn, shows its own order and ensures that the anti-detective novel is stable” (Holzapfel 1996, S.26).
Intermezzo
Nachdem wir nun also die Grundvoraussetzungen erforscht haben, ist es Zeit sich dem Zentrum unseres Falles zu widmen: „City of Glass“. Ich finde die Lektüre des Romans lohnt sich auch, wenn man den Plot schon kennt, aber alle, die ihn unvoreingenommen lesen wollen, sollten den Artikel hier abbrechen und erst nachdem sie das Buch gelesen haben weiterlesen.
II.
New York was an inexhaustible space, a labyrinth of endless steps, and no matter how far he walked, no matter how well he came to know its neighbourhoods and streets, it always left him with the feeling of being lost. (Auster 2001, S.4)
Der Roman „City of Glass” erschien 1985 und ist der erste Teil von Paul Austers New York Triologie. Protagonist des Romans ist Daniel Quinn, ein Autor von Mystery-Novels (Auster 2001, S.5), Romane um den Detektiv Max Work, die er unter dem Namen William Wilson veröffentlicht. Durch einen fehlgeleiteten Anruf wird er als Privat-Detektiv für die Beschattung eines Mannes (Peter Stillman Sen.) engagiert. Eigentlich wollte Stillman einen Mann namens Paul Auster engagieren (ja das ist auch der Name des Autors). Quinn gibt sich als Auster aus und beschattet Stillman Sen., beziehungsweise den Mann, den er für ihn hält. Denn schon am Bahnhof ist er vor die Wahl gestellt, welchem von zwei fast identisch aussehenden Männern er folgen möchte. Er entscheidet sich für den ärmlich gekleideten Mann, da dieser besser zu dem Bild passt, dass er sich zu Stillman Sen. gemacht hat. Tagelang verfolgt Quinn diesen Mann auf seinen Spaziergängen durch New York und notiert alles akribisch in sein rotes Notizbuch, nur um festzustellen, dass er durch die Wege, die er wählt, die Worte TOWER OF BABEL in die Karte der Stadt läuft. Verzweifelt macht er den wahren Paul Auster ausfindig und stellt fest, dass dieser ein Schriftsteller ist, der Essays über die Autorenschaft von Miguel de Cervantes „Don Quijote“ verfasst. Gleichzeitig verliert er Stillmann Sen. Und entschließt sich stattdessen des Apartment von Stillman jun. Zu bewachen. Wochenlang geht er in diesen Beobachtungen auf, bis er nicht nur alles was er besitzt verliert, sondern auch sich selbst. Der Roman endet mit dem Erzähler, der berichtet, dass er das Notizbuch Quinns im leeren Apartment der Stillmans gefunden habe, jedoch keine Spur von Quinn existiere. Die Geschichte habe er, so der Erzähler, durch die Notizen dieses Buches rekonstruiert. Ob wir dem Glauben schenken wollen, ist uns überlassen.
Ebenso wie sich Quinn in New York verläuft, besteht auch für uns Leser*innen die Gefahr sich in dem Roman „City of Glass“ zu verlieren. Wenn Quinn später im Roman Stillman Sen. durch die Stadt folgt, reagiert er auf diese Verlorenheit, indem er präzise die Wege notiert, die Stillman Sen. geht. Er liest und interpretiert diese Wege, um Ordnung in das Chaos des Falles zu bringen. Auch der Leser des Romans ist “in search of the thought, the idea that will pull all these things together and makes sense to them” (Auster 2001, S.12). Möchte man eine Interpretation von „City of Glass“ wagen, kann man vielen verschiedenen Wegen folgen. Diese Spurensuche soll sich aber eher auf einer Meta-Ebene mit der Geschichte befassen und die eine komplexe Verbindung zwischen den Rollen Leser, Autor und Detektiv genauer untersuchen.
Für Daniel Quinn beinhaltet der Begriff privat eye ein Wortspiel, da das i auch für investigator und I - Ich stehen kann. Ich glaube jedoch, dass Auster dieses Wortspiel in seinem Roman noch weiterführt und das i auch interpretation einschließt ((Auster 2001, S.12). Ist dies der Fall, spielt Auster nicht nur mit den Erwartungen des geübten Detektivromanlesers, sondern auch mit denen des literaturwissenschaftlichen Hermeneutikers und führt beide in ein Labyrinth ohne Ausgang.
II.a. Paul Auster (der Reale)
„…the role of the writer as the person who describes events, promises control over the confusing experiences of everyday life. In the ideal case writing helps the author find explanations which are relevant both to himself and his social environment – just like the detective finds explanations for events through his work” (Springer 2001, S.99)
Madleine Sorapure weist in ihrem Essay „The Detective and the Author: City of Glass” darauf hin, dass im klassischen Detektivroman der Detektiv und der Leser versuchen in die Position des Autors als allwissende Instanz zu kommen (Sorapure 1995, S.71). Die Anwesenheit des Autors verspricht also genau diese Kontrolle von der Carsten Springer in dem zitierten Absatz spricht. Gleichzeitig scheint der Autor selbst zu versuchen, durch das Schreiben seine Umgebung zu verstehen. Dieses Verständnis des Autors als Detektiv, der versucht durchs Schreiben die Rätsel des Lebens zu lösen, wird in „City of Glass“ durch Quinn verkörpert, der als Autor detektivisch tätig ist, wobei sein rotes Notizbuch eine zentrale Rolle in seiner Ermittlung einnimmt.
Was bedeutet es aber für einen Leser oder eine Leserin, wenn der Autor des Romans sich nicht mehr als allwissendes Mastermind versteht, das eine in sich geschlossene Welt konstruiert, in der alles logisch nachvollziehbar ist, sondern durch seinen Text andere Texte reflektiert?
Paul Auster schreibt seine Texte stets mit Einflüssen durch andere Autoren, er selbst versteht sie als seine Co-Writer (vgl. Peacock 2010, S.5ff). Damit erhebt er für sich nicht den Anspruch der Originalität oder eines allumfassenden Verständnisses des Textes (Peacock 2010, S.10), er tritt hinter dem intertextuellen Konstrukt seines Romanes zurück. Auster versteht die Leser selbst als eigentlichen „writer“, da sie durch seine Interpretation eine eigene Geschichte schreiben (Holzapfel 1996, S.52). Er handelt damit im Sinne Roland Barthes der in seinem berühmten Aufsatz „Der Tod des Autors“ schrieb: „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors“ (Barthes 2002, S.110). Gleichzeitig spielt er aber auch mit dieser Forderung, indem er sich zum Beispiel selbst in den Text schreibt. Als Daniel Quinn Peter Stillman Sen. zum ersten Mal persönlich konfrontiert (er spricht während seiner Beschattung drei Mal unter verschiedenen Pseudonymen mit ihm), stellt er sich ihm mit seinem richtigen Namen vor. Stillman entgegnet: „I like your name enormously, Mr.Quinn. It flies in so many little directions at once” (Auster 2001, S.130).
Das Bild des nach allen Richtungen fliegenden Namens spiegelt den Roman „City of Glass“ selbst wider. Der Text bietet einen Dialog mit vielen anderen literarischen Texten an, er ist also zu allen Seiten offen. In welchen Dialog die Leser eintreten möchten, bleibt ihnen überlassen. Damit ist also jeder Leser und jede Leserin von „City of Glass“ auch ein Autor/ eine Autorin, eben weil er oder sie liest und die literarischen Spuren interpretiert, bzw. bestimmte Aspekte priorisiert. Durch dieses Vorgehen wird er/sie aber auch zum Detektiv, bzw. Detektivin und der Roman selbst zum Fall.
II.b. Daniel Quinn
„As for Quinn there is little to detain us. Who he was, where he came from, and what he did are of no great importance” (Auster 2001, S.3)
Was aber von Bedeutung zu sein scheint, ist die Information, dass Quinn gerne durch New York spaziert, Detektivromane schreibt, und schon lange ein begeisterter Leser dieses Genres ist. Sein Interesse am Detektivroman wird begründet im „sense of plentitude and economy“ (Auster 2001, S.11), der die Bücher ausmacht. Wie zuvor geschildert, hat im Detektivroman jedes Teil seine Berechtigung. Der Plot funktioniert wie ein Puzzle, in dem jedes Puzzleteil einen Platz hat und notwendig ist, um ein Ganzes zu ergeben. Diese Sinnhaftigkeit scheint Quinn anzuziehen und im direkten Gegensatz zu der Leere und Sinnlosigkeit seines Lebens zu stehen.
Die Entscheidung Detektivromane zu schreiben, ist ebenfalls auf einem sense of economy zurückzuführen. Die Gattung des Detektivromans entspricht nicht seinem literarischen Anspruch, weswegen er nur unter dem Pseudonym William Wilson (Verweis auf Edgar Allan Poes gleichnamiger Erzählung) schreibt und sich niemanden gegenüber als Autor zu erkennen gibt. „Because he did not consider himself to be the author of what he wrote, he did not feel responsible for it and therefor was not compelled to defend it in his heart” (Auster 2001, S.5). Quinn schreibt die Romane, versteht sich selbst jedoch nicht als Autor. („…he never went so far as to believe that he and Wiliam Willson were the same man“ (Auster 2001, S.6)) Diese Distanzierung von der Autor-Rolle kann man im Sinne Roland Barthes lesen und Quinn als „modernen Schreiber“ (Barthes 2002, S.107), der nur im Moment des Schreibens existiert, verstehen. Dafür spricht sein Interesse an den Geschichten, mit denen sein Text in den Dialog tritt. „What interested him about the stories he wrote, was not their relation to the world but their relation to other stories” (Auster 2001, S.11). Dieses Interesse teilt er auch mit Paul Auster (dem Realen) selbst.
Man kann aber auch annehmen, dass sich Quinn eher als Leser seiner Bücher versteht und weniger als Urheber. Er baut keine Beziehung mit William Wilson, der die Rolle des Autors einnimmt, auf. Vielmehr beschreibt er ihn als Brücke, die ihn und seinen Detektiv Max Work verbindet. „His private-eye narrator, Max Work, had suffered through a number of beatings and narrow escapes, and Quinn was feeling somewhat exhausted by his efforts” (Auster 2001, S.8). Max Work ist demnach ein Detektiv der amerikanischen Hard-Boiled Novel und die Bücher sind, wie es für dieses Genre typisch ist, aus der Ich-Perspektive erzählt. Die Aussage, dass Quinn sich erschöpft von Works Abenteuern fühlt, weist auf die Beziehung hin, die die Leser zum Detektiv aufbauen können (siehe oben).
Quinn erfüllt also eine komplizierte Doppelfunktion als Leser und Urheber seiner Texte.
Der Fall mit dem Quinn betraut wird, eröffnet ihm eine Möglichkeit die Leere seines Lebens mit der Logik und Sinnhaftigkeit zu füllen, die er im Detektivroman schätzt. Carsten Springer beschreibt dies folgendermaßen: „…the protagonist of City of Glass uses the literary model in the way of an integrating ‘metanarrative’ for his own disrupted life. Quinn slips in the role of his character Max Work (even while he poses as the detective “Paul Auster” his model is Work), who in turn is modelled on literary detective heroes”(Springer 2001, S.98). Quinn nimmt also ein weiteres Pseudonym an – Paul Auster. Wie William Wilson ist dieses Pseudonym für Quinn nur ein Name, während Max Work eine Rolle ist, in die er schlüpft. Gerade zu Beginn des Falles handelt er, wie Max Work handeln würde. Die Passivität Quinns wird dabei sprachlich hervorgehoben. Zum Beispiel auf dem Weg zu den Stillmans: „Nevertheless, as time wore on he found himself doing a good imitation of a man preparing to go out”(Auster 2001, S.19) und als er bei ihnen angekommen ist: “He found himself sitting on a sofa, alone in the living room” (Auster 2001, S.23). Kurz darauf fragt er sich, was Max Work über die Situation denken würde: „Then he thought about what Max Work might have been thinking, has he been here” (Auster 2001, S.23). Folgerichtig erinnert ihn Mrs. Stillman an eine typische Feme Fatale á la Chandler (Peacock 2010, S.52).
“From 30 feet away she looked like a lot of class. From 10 feet away she looked like something made up to be seen from 30 feet away.” (Raymond Chandler, The High Window)
Im Folgenden enthüllt sich, dass es kein Verbrechen gibt, das er aufklären soll. Das Verbrechen, die Misshandlung die Peter Stillman jun. erlitten hat, ist schon geschehen aufgeklärt und geahndet wurden. Quinns Aufgabe ist es, den Vater Stillmans zu beschatten, um ein eventuelles weiteres Verbrechen zu verhindern. Peter Stillman Jun. erzählt eine rätselhafte Geschichte, voller Wiederholungen, Nonsens-Sätzen und Widersprüchen. Die vielen Namen, die er sich und den anderen Figuren seiner Geschichte gibt, ebenso wie die ständige Beteuerung, dass das nicht ihre wahren Namen seien, deuten darauf hin, dass für Stillman Jun. die Sprache ihre Aussagekraft verloren hat. Er sieht in ihnen nur austauschbare, leere Hülsen. Kurz darauf erzählt Virginia Stillman ihre Version der Geschichte, die aber auch nur ihre subjektive Sichtweise ausdrücken kann, also eine Interpretation ist. Quinn aber geht im Folgenden von dieser Version der Geschichte aus.
Quinn handelt nun nicht mehr wie Work. Viel eher scheinen die nächsten Schritte wie die eines Schreibers/Lesers. Er kauft sich ein Notizbuch, da er immer mit Stift und Papier schreibt, ist dies ein gewöhnlicher Vorgang für ihn. Mit dem Akt des Schreibens will er die Situation stabilisieren (Barone 1995, S.16). „In that way, perhaps, things might not get out of control” (Auster 2001, S.64). In seinem Apartment leert er seinen Schreibtisch, zieht sich aus und legt das Notizbuch „in the centre“ (Auster 2001, S.65). Diese Beschreibung verweist auf das erste Kapitel, in dem Quinns Interesse an Detektivromanen erklärt wird: „Everything become´s essence; the centre of the book shifts with each event that propels it forward. The centre then, is everywhere, and no circumference can be drawn until the book has come to it’s end“ (Auster 2001, S.12). Quinn versucht nun durch das Schreiben, den Fall und damit seine ganze Welt zu stabilisieren (Barone 1995, S.16). In der Welt der Mystery Novels, die er selbst so verehrt, würde demnach das Ende des Notizbuches die Lösung des Falls bedeuten. Symbolisch legt er das Notizbuch also ins Zentrum des Falls und auf die erste Seite setzt er nicht die Initialen WW oder PA sondern seine eigenen - DQ. Er geht also in seiner Erfassung der Ereignisse von sich selbst aus. Die ersten Einträge des Notizbuches sind demnach auch eher persönliche Assoziationen, wie die gedankliche Verbindung zwischen Peter und seinem toten Sohn. Am nächsten Morgen geht Quinn zur Recherche in die Bibliothek. Er liest Stillman Sen.‘s Buch, beschäftigt sich also zunächst mit den Hintergründen des Falles, man könnte auch sagen mit dem sekundär Text zum primär Text Stillman.
Danach beginnt die tatsächliche Beschattung. Die erste Entscheidung, die Quinn treffen muss, ist die, welcher Mann Stillman Sen. am meisten ähnelt. Er sucht sich aus einer Unmenge an Möglichkeiten einen aus, muss dann aber entdecken, dass es eine zweite Variante dieses Mannes gibt.
„Directly behind Stillman, heaving into view just inches behind his right shoulder, another man stopped, took a lighter out of his pocket, and lit a cigarette. His face was the exact twin of Stillman´s“ (Auster 2001, S.98)
Im ersten Kapitel wird der Detektiv als derjenige beschrieben „who looks, who listens, who moves through this morass of objects and events in search of the thought, the idea that pull all these things together and make sense of them“ (Auster 2001, S.12). Der Detektiv entscheidet sich also für eine Interpretation des Falles und da die Welt des Detektivromans logisch und effizient konstruiert ist, ist seine Lösung die einzig zutreffende. Doch Quinn erkennt richtig, dass hier ein Faktor greift, mit dem sich der Detektiv im klassischen Detektivroman nie befassen muss: „Chance“ (Auster 2001, S.99). Und in einer zufälligen Welt ist der Irrtum vorprogrammiert. Der falschen Spur zu folgen kann im klassischen Detektivroman höchstens dem Leser passieren. Der Detektiv beobachtet also Zusammenhänge, hinterfragt Aussagen und sammelt Evidenz- auf dieselbe Weise geht der Hermeneutiker vor. Der Text jedoch ist mehrdeutig und jeder Interpret folgt anderen Spuren, kommt zu anderen Schlüssen, weil jeder an einem anderen Punkt anknüpft. Die Männer ähneln sich äußerlich, der eine sieht jedoch ärmlich und verloren aus, während der andere dem Bild eines wohlsituierten, zielstrebigen Mannes entspricht. Quinn entschließt sich dem Stillman zu folgen, der eher seiner Idee des Falles entspricht. Für Quinn ist das der Mann, der seine eigene Isolation widerspiegelt (Peacock 2010, S.56). Im Endeffekt ist dies jedoch eine willkürliche Entscheidung.
Quinn folgt in den nächsten Tagen Stillman Sen. durch die Stadt. James Peacock arbeitet heraus, dass Spaziergänge für Auster für eine Art des Denken stehen. „So to walk through space is to think a sequence of thoughts that create a mental journey or story” (Peacock 2010, S.58). Stillmans Wege sind demnach Schrift, die Quinn liest und interpretiert. New Yorks Straßen werden zu Seiten, ein Bild, das am Ende des Romans erneut aufgegriffen wird, wenn der Erzähler den Schnee beschreibt, der auf die Stadt fällt und sie zu leeren weißen Seiten macht (Auster 2001, S.222). Doch „reading itself can be a paranoid process, a constant search for meaningful patterns and answers, where in fact there may be none” (Peacock 2010, S.58). Für Quinn müssen die Wege Stillmans eine Bedeutung haben, da in seiner Auffassung der Welt als Detektivroman alles Bedeutung hat. Als Quinn Stillman Sen. jedoch dreimal konfrontiert, bekommt er drei verschiedene Antworten geliefert, die nur noch mehr Fragen aufwerfen. Ebenso wenig wie Auster eine Antwort auf die Frage, was in „City of Glass“ geschieht, geben würde, kann Stillman auch keine befriedigende Antwort für sein Handeln geben. Dies widerspricht jedoch der Ordnung, die Quinn unbedingt herstellen möchte. Die Idee/ der Interpretationsansatz, den Quinn an den Fall angelegt hat, zerbröckelt und löst sich dann in Luft auf. Stillman Sen. stirbt, wie man später im Roman erfährt, buchstäblich in der Luft.
Seines Interpretationsansatzes beraubt, wendet er sich einem vermeintlichen Experten zu: Paul Auster, der Detektiv, der den Fall eigentlich bearbeiten sollte. Doch er ist eine Sackgasse, da er kein Detektiv, sondern ein Autor ist. Er hält Quinn die Leere und Sinnlosigkeit seiner Welt vor Augen. Die Begegnung mit Auster bringt Quinns Versuch eine leitende Idee in seiner Welt zu finden ins Schwanken. Er irrt durch New York und wendet seine Aufmerksamkeit den Obdachlosen zu, die wie schwache Bilder von Stillman Sen. wirken, aber nicht mehr als verbindende Idee reichen.
Er bezieht vor dem Ursprung, dem Apartment der Stillmans Stellung. Hier kann er aber ebenso wenig eine Antwort finden. Als ihm schlussendlich alles entgleitet, der Fall und seine Existenz, geht er in das Apartment, entledigt sich erneut seiner Kleider und notiert nur noch Beobachtungen und Schlussfolgerungen in seinem Notizbuch. “Having failed to crack the case in “reality”, his only recourse is to text” (Peacock 2010, S.46). Wie zu Beginn des Falls versucht er durchs Schreiben seine Welt zu stabilisieren. Er kann die Vorstellung, dass alles in der Welt einen Sinn und einen Platz im Gesamtbild haben muss, nicht loslassen. Doch ohne eine verbindende Idee verzweifelt er an der Interpretationsvielfalt. Er findet Zusammenhänge, die in alle Richtungen streben. Dabei fällt er auf alle Red Herings rein, die der Roman aufbaut, wie die immer wieder auftauchende Zahl 69 oder das Spiel mit Namen und Literaturanspielungen. Teilweise konstruiert er Verbindungen und fragt sich, ob das Mädchen am Bahnhof die neue Mieterin seiner Wohnung ist. In der konstruierten Welt des Detektivromans wäre so etwas denkbar. Für Quinn können diese Überlegungen jedoch nicht mehr zielführend sein.
„What will happen when there are no more pages in the red notebook?” Am Ende des Buches muss die Lösung des Falls stehen. Von dieser Prämisse ist Quinn zu Beginn ausgegangen. Am Ende des roten Notizbuches steht jedoch nicht die Antwort, sondern nur noch mehr Fragen.
II. c. Wir, die Leserinnen und Leser
Der Detektivroman ist ein intellektuelles Spiel für uns als Leserin und Leser. Dieses Spiel funktioniert dadurch, dass am Beginn des Textes eine Frage steht und Detektiv und Leser im Laufe der Ermittlung die Antwort finden. Dieses Frage-Antwort Schema ist fundamental für den Aufbau von Spannung (vgl. Junkerjürgen, 2002). Wird am Ende des Romanes die Frage beantwortet, befriedigt das die Leser*innen. Dadurch kann das Lesen eines Detektivromans Freude bereiten. Mit dieser Erwartung gehen die Leser*innen an „City of Glass“ heran. Im ersten Kapitel weisen sie die programmatischen Aussagen zum Detektivroman auf die Art hin, auf die sie den Roman lesen sollen: Sie müssen ebenso wie der Detektiv alle Hinweise erfassen, bewerten und interpretieren (Auster 2001, S.2). Nur so können sie zur Lösung des Falles oder zu einem Verständnis über das Buch kommen.
Durch die Verwendung des inclusive We fordert der Erzähler die Leser*innen außerdem von Beginn an zum Miträtseln auf. Zwar warnt er sie, dass der Text keine Antwort geben wird(Auster 2001, S.3), doch er weist auch darauf hin, dass jeder Hinweis zählen kann. Auster spielt jedoch so geschickt mit ihren Erwartungen, dass sie trotzdem offenen Auges in die Falle tappt. Die Leser*innen (vor allem literaturwissenschaftlich interessierte Leser*innen) vollziehen dabei einen ähnlichen Weg wie Quinn. Durch das inklusive We einbezogen und zum Miträtseln aufgefordert, versuchen sie den Fall zu lösen. Dabei scheint der Fall sich aber weniger auf die Stillmans zu beziehen als auf das Rätsel, dass der Roman selbst darstellt. Paul Auster spinnt ein Netz von intertextuellen Verweisen und Anspielungen, die die Leser*innen immer weiter einspinnen. Der programmatische Satz im ersten Kapitel „What interested him about the stories he wrote was not their relation to the world but their relation to other stories. “ setzt sie direkt auf die Spur der literarischen Verweise, die sich jedoch als Red Herings erweisen. Die Leser*innen, die sich auf Spurensuche in der City of Glass begeben, werden sich unweigerlich verlaufen. Sie sind, ebenso wie Quinn, dazu verurteilt zu scheitern (Peacock 2010, S.45).
Auster schreibt andere Autoren mit, d.h. sie fließen in seine Texte mit ein. Die drei Autoren, die in diesem Roman stark vertreten sind, sind Miguel de Cervantes, Edgar Allen Poe und Samuel Beckett. Es gibt auch mehrere Verweise auf Lewis Carroll. Dazu kommt eine auffällige Zahlensymbolik um die Zahl 69, Hinweise auf eine Identitätsstörung bei Quinn, ein ausgetüfteltes Spiel mit den Namen und Pseudonymen, die verwendet werden und zur vollkommenen Verwirrung der Leser taucht eine Figur Namens Paul Auster auf, die zwar einige biografische Ähnlichkeiten zum realen Paul Auster aufweist, aber nicht den Anspruch erhebt der Autor des Romans zu sein.
Am Schluss des Romans meldet sich der Erzähler zu Wort und behauptet, die Geschehnisse des Romanes nur anhand der Aufzeichnungen im roten Notizbuch zusammengesetzt zu haben. „The narrators appearance forces the reader to revisit City of Glass and check it´s reliability“ (Peacock 210, S.63). Die Leser*innen erkennen, dass der Erzähler im höchsten Maße unzuverlässig ist. So wird wiederholt von Träumen Quinns berichtet, die er am nächsten Morgen vergessen habe, demnach gar nicht aufgeschrieben haben kann. Die Erkenntnis, dass dem Erzähler nicht zu trauen ist, stellt sämtliche Interpretationsmöglichkeiten, die die Leser*innen bis dahin erarbeitet haben, in Frage. Sie können nicht mehr sagen, was an der Geschichte wahr ist und müssen sich selbst entscheiden, was der Text für sie bedeutet. Darin ähneln sie Quinn, der aus der Geschichte Stillman jun.´s entscheiden muss, was Wahrheit und was Lüge ist. Nur verlässt sich Quinn auf die Version, die Virginia Stillman ihm erzählt hat. Durch die Erkenntnis, dass man dem Erzähler nicht trauen kann, fehlt den Lesern*innen selbst diese Instanz.
Der Roman führt den Leser*innen vor Augen, dass eine eindeutige Interpretation des Textes (und damit vielleicht jedes Textes) unmöglich ist.
II.d. Paul Auster (der Fiktive) und Don Quijote
„It was a man who opened the apartment door. (…) In his right hand, fixed between his thumb and his first two fingers, he held an uncapped fountain pen, still poised in a writing position” (Auster 2001, S.158).
Auster lässt in „City of Glass“ eine Figur auftauchen, die seinen Namen trägt und einige biografische Details, wie den Namen seiner Frau oder seinen Beruf, mit ihm teilt. Der fiktive Auster schreibt an einer Reihe von Essays über die Autorenschaft in Don Quijote. In ihnen geht er davon aus, dass Don Quijote seinen Wahnsinn nur vorgespielt hat, das arabische Manuskript von seinen Begleitern stammt und Quijote selbst, beauftragt von Cervantes, das Manuskript ins spanische übersetzt.
Nach dem Besuch bei Auster geht Quinn davon aus, dass es sich um eine Verwechslung der Telefonnummern handelt, und Stillman Jun. einfach die falsche Nummer hatte. Anne Holzapfel weist jedoch darauf hin, dass die Empfehlung Auster zu engagieren von einem Mann namens Michael Saavedra stammt und der Name auf den Autor von Don Quijote – Miguel de Cervantes Saavedra hindeutet. Demnach wäre die Empfehlung kein Versehen, sondern eine weitere Verknüpfung der Gemeinsamkeiten von Leser-Autor-Detektiv.
Daniel Quinn teilt mit Don Quijote seine Initialen und seine Liebe für ein bestimmtes Literaturgenre. Don Quijote verliert das Verständnis dafür, was Fiktion und was Realität ist. Quinn passiert in „City of Glass“ derselbe Fehler. Er versucht seiner, durch den Zufall strukturierten, Welt die Ordnung des Detektivromans aufzuzwingen. Ebenso wie Don Quijote muss er daran scheitern. Auch der Leser oder die Leserin, der/die versucht City of Glass zu interpretieren, wird versagen.
Der Roman leistet genau das, was der fiktive Paul Auster den Freunden Don Quijotes als Motiv für die Aufzeichnung seiner Taten unterstellt: „The idea was to hold a mirror up to Don Quixote’s madness, to record each of his absurd and ludicrous delusions, so that when he finally read the book himself, he would see the error of his ways”(Auster 2001, S.169). Ob man den letzten Twist nehmen möchte und analog zu der Idee, dass Don Quijote seinen Wahnsinn nur vorspielt, davon ausgeht, dass Auster selbst das Notizbuch schreibt und es dem Erzähler zuschiebt, so wie Quijote Cervantes das Manuskript übersetzt vgl. Sorapure 1995, S.85), bleibt den Leser*innen überlassen.
III. Die Auflösung?
„City of Glass“ist ein Titel, der genauso mehrdeutig ist, wie der Text, der sich dahinter versteckt. Die Stadt, durch die Quinn wandert scheint ein Spiegelkabinett zu sein. Sie wimmelt von Doppelgängern und der andauernden Frage nach Lüge und Wahrheit.
Ebenso fängt der Roman auch uns Leser und Leserinnen in seinem Labyrinth. Wenn man möchte, kann man jeder einzelnen Spur folgen und Auster hinterlässt viele verschiedene Hinweise. Gerade für den Literaturwissenschaftler/die Literaturwissenschaftlerin birgt der Versuch eine Lösung zu finden, einen großen Reiz, zum einen, weil sie gewohnt sind, einen Text zu interpretieren, zum anderen, weil viele der Hinweise literarischer Natur sind. Der Wunsch, den Fall zu lösen, verlegt sich für die Leser auf den Versuch eine Interpretation für diese zahlreichen Hinweise zu finden. Sie möchten Ordnung in den Roman bringen. Doch Auster bietet nur Sackgassen/Red Herings an. Früher oder später müssen sie einsehen, dass es nicht möglich sein wird, alle Fäden zu einem einzigen Strang zu flechten. Man kann höchstens einzelnen Fäden folgen. Ein befriedigendes Ergebnis gibt es nicht.
Quinn als Protagonist eines Anti-Detektiv-Romans ist diese Einsicht nicht möglich. Auch er versucht die Geschehnisse zu interpretieren und zu einer einheitlichen Ordnung zu bringen, und auch er scheitert daran. Doch für ihn gibt es kein zurück. Gebunden an die Konventionen seiner Gattung, kann er erst mit seinem Leben weitermachen, wenn er den Fall gelöst hat. Da das nicht passiert, hört er einfach auf zu existieren. Auster spielt mit diesen Gattungskonventionen und steigert sie ins Extreme. Das Ergebnis ist ein verschachteltes Verwirrspiel, das mehr als eine Lösung anbietet.
Gleichzeitig fragt der Text auch nach der Beziehung von Leser, Autor und Detektiv/Text. Schlussendlich bietet er auch hier keine Lösung an, doch es scheint als trete der Autor zugunsten der Beziehung zwischen Leser und Detektiv/Text zurück.
Zu behaupten, man könne diesen Roman umfassend interpretieren, scheint mir nicht möglich. Jede Leserin und jeder Leser muss sich selbst für einen Aspekt entscheiden, den er oder sie besonders priorisiert. Jede Reflexion des Romans (um im Bild der „City of Glass“ zu bleiben) zeigt sich ein bisschen anders. In der vorliegenden Arbeit habe ich mich vor allem darauf konzentriert, was die Mehrdeutigkeit des Romanes, für die Leser*innen und auch für Quinn bedeutet. In dieser Lesart hält der Roman dem Hermeneutiker und auch den Leser*innen des Detektivromans einen Spiegel vor.
Er ist, angelehnt an Don Quijote, ein warnendes Beispiel nicht in jedem Wort eines Textes nach einer verborgenen Bedeutung zu suchen.
Epilog
Am Ende unserer Spurensuche steht also die Erkenntnis, dass wir den Roman nicht verstehen können, weil er nicht verstanden werden soll. Ist das jetzt eine Enttäuschung? Ein Argument das Buch gar nicht erst in die Hand zu nehmen? Ich denke nicht. Denn vielleicht habe ich ja auch unrecht, vielleicht gibt es eine schlüssige Lösung, eine stichhaltige Interpretation. Vielleicht kannst gerade Du alles lösen und mich eines Besseren belehren. „City of Glass“ beschränkt sich nicht auf ein intellektuelles Spiel zwischen dem Detektiv und den Leser*innen. Es ist auch ein intellektuelles Spiel, das wir untereinander führen. Es gibt keinen langweiligen geraden Weg, den wir bloß nicht erkannt haben, keinen übermäßig intelligenten Sherlock Holmes, der uns am Ende erklärt, wo wir geirrt haben und er Recht hatte. In „City of Glass“ behalten wir die Chance eine Lösung zu finden und ich möchte alle ermutigen, ihren eigenen Interpretationsansatz zu wagen, die Hinweise sind alle da...
Wie zu Beginn schon gesagt: „The game is afoot"
Gezeichnet: Schattenhaar
Lahadic, Juli 2023
IV. Quellen
Auster, Paul: City of Glass. Hrsg. Herbert Geisen (Reclams Universal-Bibliothek Nr.9078), Stuttgart 2001.
Carsten Springer: Crises: The Works of Paul Auster. Peter Lang GmbH Frankfurt am Main 2001.
Holzapfel, Anne M.: The New York Trilogy: Who dunit? Tracking the structure of Paul Auster´s Anti-Detective Novels. Studien zur Germanistik und Anglistik. Hrsg Prof Juliane Eckhardt, Prof Rüdiger Hillgärtner Bd 11, Peter Lang Frankfurt a.M. u.a. 1996.
Nusser, Peter: Der Kriminalroman. Weimar, 1992.
Peacock, James: Understanding Paul Auster. University of South Carolina, 2010.
Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Uwe Wirth (Hrsg.): Performanze. Frankfurt am Main, 2002, S.104-110.
Beyond the red notebook. Essays on Paul Auster. Hrsg. Dennis Barone, Philadelphia 1995.
“Strange as the world”. Annäherungen an das Werk des Erzählers und Filmemacher Paul Auster. Andreas Lienkamp, Wolfgang Werth, Christian Berkemeier (Hg.), Anglistik, Amerikanistik Bd 8, Münster 2002.
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